Einleitung
Das Geheimnis der Wirkung von Kompressionsverbänden beruht auf der Erzeugung einer hohen Druckamplitude beim Gehen. Im Idealfall liegt der Ruhedruck bei 0 mmHg und der Arbeitsdruck bei möglichst hohen Druckspitzen, welche aber nur für einen Bruchteil einer Sekunde periodisch erreicht werden.
Selbst der Anlagedruck spielt eine untergeordnete Rolle. Entscheidend für die Entwicklung hoher Arbeitsdrucke ist die Stiffness der Kompressionsmittel (1-6).
Nach den Regeln der Physik wird eine Kraft (Druck), die auf ein nicht nachgiebiges Widerlager stößt, zurückflektiert (in die Tiefe der Gewebe). Aus der Physiologie und Sportmedizin wissen wir, dass die Muskulatur im Durchschnitt von 3000 Kapillaren pro mm² Muskelquerschnitt durchzogen wird. 95 % sind im Ruhezustand geschlossen. Erst bei zunehmender körperlicher Aktivität werden diese 95 % sukzessive geöffnet (7). Dies hat eine passagere Volumenzunahme des Muskels zur Folge. In Phasen intensiver Arbeit kann die Muskulatur bis zu einem Drittel an Volumen zunehmen.
Dieses Phänomen nutzen Bodybuilder vor ihren Showauftritten, indem sie die zu bewerteten Muskelgruppen „aufpumpen“. Nimmt man jetzt das Wissen aus der Physik und der Physiologie zusammen, so ergibt sich schon rein theoretisch für die Kompressionstherapie
- die Forderung nach einem Kompressionsmittel mit höchstmöglichem Stiffness-Index und
- die Unabdingbarkeit einer länger andauernden Muskelbelastung.
Länger andauernde Muskelarbeit bedeutet Volumenzunahme und damit Druckanstieg unter dem steifen Kompressionsmedium. Zum einen provoziert der Muskelbauch in der Muskelsystole eine Volumenzunahme und zum anderen lassen die parallel zur zunehmenden Aktivität geöffneten Muskelkapillaren (Aufpumpen der Muskulatur) das Muskelvolumen zusätzlich um ein Drittel anschwellen. Nur diese Kombination von periodischer und passagerer Volumenzunahme sowie einer hoher Stiffness des Kompressionsmittels führt zur Entwicklung höchster, tiefenwirksamer Druckamplituden.
Der nicht nachgiebige, fixierte Unterschenkel-Kompressionsverband nach Dr. Heinrich Fischer (Zinkleim) baut dank seiner hohen Stiffness in der Phase schnellen Gehens eine gemessene Druckamplitude von 20– 220 mmHg auf (8). Drücke dieser Größenordnung sind effizient für das tiefe Venensystem und können dort ihre von Kompressionsstrümpfen nicht erreichbare Wirkung entfalten.
Schon meine Lehrer (F. Haid-Fischer, H. Haid) wussten bei Bedarf die Steifheit des Zinkleimverbandes zu steigern. Jahrzehntelang geschah dies durch überwickeln des Zinkleimverbandes vom Messpunkt B (direkt oberhalb des Knöchels) bis D (zwei Querfinger unter Kniekehle) mit Steifgaze. Man kann mit der Steifgazekomponente die Druckspitzen bis 240 mmHg beim schnellen Gehen erhöhen (eigene unveröffentlichte Messungen von 1999).
Im Frühjahr 2016 wurde die Produktion von Steifgazebinden vom einzigen Anbieter mangels Nachfrage europaweit eingestellt. Bekanntlich macht Not erfinderisch. Nach Versuchen mit unterschiedlichsten Versteifungskomponenten und Messungen der Druckentwicklung mit der PIVI-Sonde (8) habe ich eine Kombination („Stiffness- Booster“) gefunden, die alle theoretisch gesteckten Ziele erreicht und vom Wirkungsgrad alles dagewesene in den Schatten stellt.
Wir modellieren standardmäßig eine Gipsbinde (8 cm x 4 m) in der Fischer-Methode (9) von B bis D über den starren Zinkleimverband und darüber eine Kurzzugbinde. Diese Kombination stellte sich als ideal heraus: die Geschmeidigkeit des Zinkleims auf der Haut gepaart mit dem höchst möglichen Stiffness-Index eines Gipsverbandes. Die zwei unterschiedlichen Materialien Zinkleim und Gips gehen drucktechnisch und bezüglich des Tragekomforts eine erstaunliche Symbiose ein.
Das Ergebnis verblüfft:
- Die Arbeitsdruckspitzen, gemessen mit dem PIVI-Gerät (8), erreichen 280 mmHg beim schnellen Gehen in der Ebene.
- Es besteht ein sehr guter Tragekomfort. Die Patienten fühlen sich in diesem Drei-Komponentenverband sowohl in Ruhe als auch in Bewegung wohl (Ruhedruck beim Liegen bei 0 mmHg). Laut Patienten ist er angenehmer zu tragen als die schwächere alte Steifgaze- Variante.
- Der Bewegungsumfang im Sprunggelenk ist wie beim Fischer-Verband nicht eingeschränkt.
- Die Verbandmittelkosten sind gering.
- Die Behandlungszeit reduziert sich: ein Drittel stärkere Entstauungskraft gegenüber dem alleinigen Fischer- Verband (bisheriger Rekordhalter) (8).
Material
Als Verbandmittel werden eine Zinkleimbinde, eine Gipsbinde und eine Kurzugbinde (Abb. 1) verwendet.